Die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) hat ein Gutachten veröffentlicht, das auslotet, ob für mehr Integration und Teilhabe neue Gesetze erforderlich sind. Die Autoren Farhad Dilmaghani (Vorsitzender DEUTSCHPUS) und Dr. Johannes Eichenhofer (stv. Vorsitzender D) schlagen ein neues Staatsziel im Grundgesetz und ein Bundesteilhabegesetz vor. Die FES hat mit Dr. Eichenhofer darüber gesprochen. Lest hier einen Auszug aus dem Interview.

FES: „Integration kann man nicht gesetzlich verordnen, sondern sie ist ein Prozess.“ So oder ähnlich hört man es in vielen integrationspolitischen Debatten. Warum wären Gesetzesänderungen Ihrer Meinung nach dennoch wichtig und zielführend, um die Integration zu verbessern?

Johannes Eichenhofer: Zwar ist es richtig, dass das Recht die Integration der Einwanderungsgesellschaft nicht im Alleingang bewerkstelligen kann. Dafür bedarf es vielmehr einer Willkommens- und Integrationskultur, die durch alle Mitglieder der Einwanderungsgesellschaft gelebt werden muss. Gleichwohl ist der Einfluss des Rechts auf Integrationsprozesse kaum zu überschätzen: es kann Integrationsleistungen fördern oder unattraktiv machen. Beispielsweise haben in den 1950er bis 1970er Jahren in Deutschland lebende „Gastarbeiter“ eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis nur in „begründeten Ausnahmefällen“ erhalten. Ihre Kinder wurden getrennt von deutschen Schüler_innen in sog. „Nationalklassen“ unterrichtet. Heute ist dagegen weitgehend anerkannt, dass Integration eine Aufgabe ist, die in allen Politikfeldern engagiert angegangen werden muss – auch durch entsprechende Gesetze.

Ihr Gutachten diskutiert ein neues Staatsziel. Warum sollte das Grundgesetz ergänzt werden?

Es dürfte inzwischen niemand mehr bestreiten, dass die Bundesrepublik Deutschland ein Einwanderungsland ist. Gerade im rechtlichen Kontext fehlt es allerdings an Leitbildern für die Einwanderungsgesellschaft. Vergleicht man die maßgeblichen Rechtsgebiete – vom Asyl- und Aufenthaltsrecht über das Schulrecht, das Arbeits- und Sozialrecht bis zum Staatsangehörigkeitsrecht – so finden wir zahlreiche Regelungen, die miteinander in Konflikt geraten. Während beispielsweise das Aufenthaltsrecht die Integrationsförderung davon abhängig macht, dass den Betroffenen bereits ein Aufenthaltstitel erteilt wurde oder sie zumindest über eine gute Bleibeperspektive verfügen, besteht eine Schulpflicht auch unabhängig von diesen Voraussetzungen.

Ein Staatsziel „Vielfalt und Integration“ müssten alle Staatsgewalten beachten, und es würde die Koordinierung der verschiedenen einfachgesetzlichen Integrationsregelungen erforderlich machen. Es könnte ein Integrationskonzept begründen, das auf den Grundrechten und Prinzipien des Grundgesetzes beruht. „Vielfalt“ steht dabei für die Religions- und Meinungsfreiheit sowie das Allgemeine Persönlichkeitsrecht. Denn Einwanderer sollen sich trotz aller berechtigten Integrationsanforderungen des deutschen Staates nicht assimilieren, also ihre Kultur aufgeben müssen. Es geht vielmehr um ein friedvolles Zusammenleben in Vielfalt. Hierzu ist es notwendig, Vielfalt nicht nur anzuerkennen, sondern die Integration der Menschen mit Einwanderungsgeschichte durch eine verstärkte Teilhabe an zentralen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Ressourcen zu verbessern. Schließlich sind Staatsziele gerade in Zeiten großer Unsicherheit im Umgang mit Einwanderung bedeutsam, da sie dem Staat Orientierung vermitteln und zugleich ein Rückschrittsverbot enthalten: Das, was einmal als Staatsziel formuliert wurde, darf nicht mehr hinterfragt oder abgeschwächt werden.