Die etablierten Medien haben sich lange Zeit nicht intensiv genug mit der Gedankenwelt der neuen rechten Bewegungen auseinandergesetzt. Dies hat sich inzwischen geändert. Dennoch gibt es Verbesserungsbedarf.

Keine Frage: 2016 wird als ein bedeutsames Jahr in die Geschichte eingehen. Vieles von dem, was man seit Jahren bereits spüren konnte, dann zunehmend raunen hörte und was spätestens seit den Bestsellern von Thilo Sarrazin und Akif Pirinçci die sozialen Medien und Kommentarspalten im Internet eroberte, schlägt sich nun in Wahlergebnissen der AfD nieder, die vor zwei Jahren kaum jemand für möglich gehalten hätte. Noch im Spätsommer 2014 erzielte die Partei bei den damaligen Landtagswahlen Prozentzahlen in Höhe von 12,2 % (Brandenburg), 10,6 % (Thüringen) und 9,7 % (Sachsen). Im März 2016 lauteten die Resultate bereits 24,2 % (Sachsen-Anhalt), 15,1 % (Baden-Württemberg) und 12,6 % (Rheinland-Pfalz). Bei den Urnengänge im September schließlich fuhr die Partei mit dem blau-roten Logo 20,8 % (Mecklenburg-Vorpommern) sowie 14,2 % (Berlin) ein. 

Deutschland liegt damit im Trend. Europaweit befinden sich rechtspopulistische Parteien im Aufwind. In Polen und Ungarn sind sie bereits an der Macht. In Großbritannien haben ähnliche Kräfte die Stimmung so sehr beeinflusst, dass es zum Brexit kam. Und ausgerechnet in den U.S.A., dem wichtigsten Staat des freien Westen, ist mit Donald Trump ein Mann ins Weiße Haus gewählt worden, der mit abfälligen Äußerungen über Minderheiten aufgefallen ist, eine Mauer gen Mexiko bauen und Muslime am Liebesten gar nicht erst ins Land einreisen lassen möchte. Die Österreicher hingegen haben im Dezember 2016 die Wahl eines FPÖ-Politikers zum Staatsoberhaupt gerade so verhindert.

Erst 2016 begann die fundierte Analyse in den Leitmedien

Es wäre naiv zu glauben, dass sich diese Entwicklung binnen weniger Jahre von selbst abschwächt. Das wird sie nicht. Schließlich ist sie, wie eingangs gezeigt, das Ergebnis einer schon länger anhaltenden Veränderung im öffentlichen Diskurs. Sarrazin spielt dabei eine Schlüsselrolle. Götz Kubitschek, enger Weggefährte des AfD-Politikers Björn Höcke und Vordenker desjenigen Teils der Neuen Rechten, der sich selbst als solche bezeichnet, sagte bereits 2011, Sarrazin habe die eigenen Themen „nach oben gezogen". Wer genau hinsah, konnte in der Tat schon damals erkennen, wie sich typische Denk- und Sprachweisen des neurechten Milieus bis weit hinein in bürgerliche Schichten hinein ausbreiteten, etwa die so typische Verähnlichung unserer liberalen pluralistischen Demokratie mit einer Diktatur oder das Streben nach ethnisch-kultureller Homogenität. Soziologen wie der Münchner Hochschullehrer Armin Nassehi setzten sich demgemäß früh mit diesem Denkmilieu auseinander. Nassehi gelang es dabei, die Schwächen der neurechten Ideen in einem im Frühjahr 2014 veröffentlichtem Briefwechsel mit Götz Kubitschek aufzuzeigen.

Jedoch dauerte es relativ lange, bis sich auch die Leitmedien in Form von eigenen Redakteuren und also über Gastbeiträge hinaus intensiv mit dem völkischen, antiliberalen und antipluralistischem Gedankengut der neurechten Bewegungen sowie ihren einzelnen Strömungen und Protagonisten auseinandersetzten und ihren Lesern erklärten, was es damit auf sich hat. Inzwischen sind einige ausführliche Einordnungen erschienen, etwa der F.A.Z.-Bericht von Justus Bender und Reinhard Bingener („Zu Besuch bei Götz Kubitschek“) sowie der ausführliche Artikel von Tobias Rapp im „Spiegel“ („Der dunkle Ritter Götz“). Hervorzuheben ist auch die „Frankfurter Rundschau“, die eine umfangreiche Serie zu den „Mythen der Neuen Rechten“ publiziert hat. Auch in den Branchenmedien ist das Thema inzwischen angekommen. So hat Michael Kraske gerade einen ausführlichen, einordnenden Beitrag („Der Code der Neuen Rechten“) veröffentlicht.

Überdies nehmen sich auch zunehmend Spezialzeitschriften bzw. Spezialisten des Themas an und erweitern die Debatte so um den Blick ihrer jeweiligen Fachrichtung. Sehr informativ sind etwa der Artikel von Thomas Vašek („Das Denken der Neuen Rechten“) in der Januar-Ausgabe des Philosophie-Magazins „Hohe Luft“ sowie die Analyse des Münchner Architekturwissenschaftlers Stefan Trüby („Rechte Räume“).

„Kanzlerdiktatorin“ und „Großer Austausch“ – Die zentrale neurechte Erzählung

Die sachliche Vermittlung dieses Basiswissens ist wichtig, damit die Leser die derzeit zentrale, in unterschiedlichen sprachlichen Varianten auftauchende neurechte Erzählung kennen. Dieser zufolge ist Angela Merkel eine „Kanzlerdiktatorin“, die das Land im Verbund mit weiteren „Volksverrätern“ und im Verbund mit der „Lügen“- bzw. „Lückenpresse“ mit „Fremden“ flutet und so den „Großen Austausch“ des deutschen, ethnisch-kulturell verstandenen Volks herbeiführt, gegen den nun „Widerstand“ zu leisten ist. Nur wer dieses Untergangstremolo kennt, kann Äußerungen von AfD-Politikern wie Alexander Gauland („raumfremde Menschen“) oder Björn Höcke („inhaltlich entartete Altparteien“, „nur noch 64,5 Millionen Deutsche ohne Migrationshintergrund“) einordnen.

Mehr mediale Vorsicht ist beim Umgang mit typisch rechtspopulistischen sowie völkisch-neurechten Begriffen geboten. Oftmals werden diese unkritisch, also ohne die Setzung von „Anführungszeichen“, durch Journalisten in den Leitmedien aufgegriffen. Besonders häufig ist dies bei den Termini „Altparteien“ und „Überfremdung“ zu sehen. Auch wenn die betreffenden Autoren alles andere als neurechts sind, tragen sie durch diese Sorglosigkeit zur Normalisierung eines Vokabulars bei, das die etablierte Politik verächtlich macht bzw. irrationale Ängste schürt. Gleiches gilt für Begriffe wie „Gutmensch“ oder „Denk- und Sprechverbote“. Zudem kann man als Autor, insbesondere in Kommentaren zur AfD, den immer gleichen Kampfbegriffen durchaus auch mit Humor begegnen und somit die Enge des Denkens der Partei verdeutlichen. 

Ganz generell empfiehlt sich eine größere Gelassenheit und Sachlichkeit im Umgang mit Rechtspopulisten und Neurechten. Die Medien sollten nicht über jedes Stöckchen springen und somit nicht jede gezielte Provokation wieder und wieder reproduzieren. Denn die Empörung generiert Aufmerksamkeit. Die AfD etwa setzt unverblümt auf diese Strategie. Frauke Petry hält Provokationen für „unerlässlich“, um in die Medien zu kommen.

Erläuterung von rhetorischen Tricks und logischen Fehlschlüssen

Viel besser ist es, Forderungen der AfD nicht moralisierend, sondern kühl zu begegnen, sie in der Sache zu entkräften und wie etwa hier die Diskursstrategien von Parteivertretern aufzuzeigen. Nur wer diese kennt, kann in Diskussionen mit AfD-Vertretern wirklich punkten. Dies gilt namentlich für Talkshowgäste, die auf Frauke Petry treffen. In der Regel haben sie, wenn sie Petrys rhetorische Tricks nicht kennen, kaum Chancen, ihre Äußerungen souverän zu kontern. Hier besteht sowohl in Sachen medialer Analyse als auch in der Art und Weise, wie Moderatoren mit AfD-Politikern umgehen, Nachholbedarf. Wie wirkungsvoll derartige Ansätze sind, hat der Wiener „Falter“ vorgemacht, als er die Rhetorik von Norbert Hofer en Detail dechiffrierte. Wer die zugehörigen Videos gesehen und den diese flankierenden, detailreichen Artikel zur Kenntnis genommen hat, dürfte danach relativ immun gegenüber Hofers Sprüchen und Untergriffigkeiten geworden sein. An derartiger Aufklärung fehlt es derzeit in Deutschland.

Medienvertreter sollten sich überdies viel stärker mit der logischen Konsistenz vieler Äußerungen in den rechten Milieus beschäftigen. Nicht selten stößt man nämlich auf Fehlschlüsse, die sich leicht decouvrieren lassen, vorausgesetzt, man kennt sich nicht nur mit Klassikern wie dem „Pappkameraden“ oder der „Selbst-Viktimisierung“, sondern insgesamt mit der Materie aus. Der Philosoph Daniel-Pascal-Zorn hat in seiner Kolumne „Na logisch!“ im bereits erwähnten Magazin „Hohe Luft“ die wichtigsten Fehlschlüsse vorgestellt. Im Grunde eine Pflichtlektüre für jeden, der sich mit rechtspopulistischen und neurechten Diskursen befasst 

Bleibt zu hoffen, dass sich eine scharfe, zugleich aber sachliche Dechiffrierung des rechten Denkens gegenüber der zunehmend hilflosen Moralisierung in den Medien durchsetzt. Journalisten sollten auch in Zeiten von „Fakenews“ genug Vertrauen in die logischen Fähigkeiten ihrer Leser, Zuhörer und Zuschauer haben. Einen weiteren Zulauf zu Rechtspopulisten und Neurechten wird man durch das Aufzeigen ihrer inhärenten Widersprüche, Taktiken und immer gleichen Ansätze durchaus verhindern können.