Am 24. Mai fand in Mannheim ein Tag der Grundrechte statt. Im Interview erklärt Professor Dr. Franz Egle (Ehrenpräsident der Hochschule der Wirtschaft für Management Mannheim), warum das wichtig ist.

Herr Dr. Egle, warum ist ein Grundrechtetag in Mannheim wichtig?

Mit dem Grundrechtetag soll ein Beitrag dazu geleistet werden, herauszuarbeiten, ob und inwieweit die Bildung für die aktive Beteiligung an der Stadtgesellschaft der Vielfalt und für das demokratische Zusammenleben insgesamt von Relevanz ist.

In Mannheim gibt es einen bedeutsamen, aber „ungehobenen Schatz der Migration“, der durch Bildung gehoben werden kann. Im Grundgesetz ergibt sich das Recht auf Bildung durch die darin festgeschriebenen Grundrechte, z.B. Freiheit der Berufswahl und Freiheit der Wissenschaft. Aktuell stehen die Grundrechte auch im Fokus des Zusammenlebens zwischen Gruppierungen innerhalb der türkischen Community, aber auch der Stadtgesellschaft insgesamt.

Welche Chancen sehen Sie bei dem Grundrechtetag?

Mannheim ist stolz auf seine Vielfalt und seine Bürger*innen, die zu 45 % Wurzeln aus insgesamt 167 von 193 Mitgliedsstaaten der Vereinigten Nationen mitbringen. Mit insgesamt 141.000 Einwohnern mit Migrationshintergrund macht diese Gruppe in Mannheim also fast die Hälfte der Stadtbevölkerung aus. Die türkische Community ist am stärksten vertreten mit ca. 28.000 Einwohnern oder 20 %.

Das Deutsch-Türkische Institut für Arbeit und Bildung e.V. hat neben ca. 200 anderen Institutionen die „Mannheimer Erklärung für ein Zusammenleben in Vielfalt“ unterzeichnet. Damit versucht das Mannheimer „Bündnis“ für das Zusammenleben in Vielfalt durch gemeinsame Aktivitäten dieses besondere Engagement sichtbar zu machen und sich für die Anerkennung und Wertschätzung der Menschen mit ihren unterschiedlichen Kulturen in einem respektvollen Zusammenleben einzusetzen.

Gelingt das friedliche und respektvolle Zusammenleben innerhalb oder zwischen den einzelnen Bevölkerungsgruppen nicht, hat dies nicht nur negative Auswirkungen für den Wirtschaftsstandort Mannheim, sondern auch für die von Vielfalt geprägte Atmosphäre der Stadt.

Chancen sehe ich bei dieser Veranstaltung auch darin, auf die Relevanz der geltenden Spielregeln einer offenen, freiheitlich-demokratischen Gesellschaft hinweisen und diese hervorheben zu können.  

Demokratie braucht aktive Beteiligung. Wie kann man Jugendliche dazu bewegen, sich mit diesem Thema auseinander zu setzen?

Das bleibt eine spannende Frage. Wir haben praktisch alle Mannheimer Schüler*innen über ihre Schulleiter*innen zu der Veranstaltung eingeladen. Letztendlich sind Eltern, Lehrer und Vereinsvorsitzende angesprochen, mit den Jugendlichen darüber zu sprechen, dass Demokratie nicht vom „Himmel fällt“, sondern dass sie durch aktive Beteiligung gelebt werden muss.

Die Erwachsenen müssen demokratische Vorbilder sein. Wichtig ist auch, dass mehr Jugendliche sich politisch betätigen und dann in den Gemeinderat gewählt werden. Für die 14-18-Jährigen könnte ein „Jugendparlament“ gewählt werden und daraus, z.B. an einem bestimmten Tag im Jahr, ein „Jugendbürgermeister“ die vom Jugendparlament erarbeiteten und entscheidungsreifen Vorschläge in Abstimmung mit dem Oberbürgermeister beschlossen und verkündet werden.

Warum ist die Auseinandersetzung mit der Verfassung und den Grundrechten für Jugendliche wichtig?

Die Verfassung und die Grundrechte sind der „Kitt“, der unsere Gesellschaft der Vielfalt in Zukunft zusammenhält. Sie sind die Gewähr dafür, dass wir in dem Einwanderungsland, in welchem wir leben, friedlich und glücklich leben sowie beruflich erfolgreich zusammenarbeiten können. Solche Perspektiven sind für Jugendliche derzeit notwendiger denn je!

Welches Grundrecht hat für Sie eine besondere Bedeutung und warum?

Für mich hat neben der „Unantastbarkeit der Würde des Menschen“ (Artikel 1) der Artikel 2 mit dem Recht auf „freie Entfaltung der Persönlichkeit“, dem „Recht auf Leben“ und „körperliche Unversehrtheit“ sowie der „Unverletzlichkeit der Freiheit der Person“ eine besondere Bedeutung.

Die Begründung liegt darin, dass die Sicherheit der Menschen für das Zusammenleben, aber auch für eine demokratische Gesellschaft absolut wichtig ist und sie derzeit noch an Bedeutung zugenommen hat.

Warum ist es für Sie gerade jetzt wichtig, sich für die Demokratie einzusetzen?

Der Einsatz für die Demokratie ist derzeit deshalb so wichtig, weil es in vielen Ländern extreme politische Tendenzen gibt, die auf Dauer die Demokratie gefährden, nicht zuletzt das Friedenswerk der Europäischen Union gefährden.

Zugehörigkeit und Empowerment – zwei wichtige Begriffe. Was steckt für Sie dahinter?

Empowerment ist wichtig, wenn es gelingt, die Entwicklung der Persönlichkeit von Menschen so zu unterstützen, dass sie ihre Talente und Fähigkeiten besser erkennen und für ihre berufliche und private Zukunft nutzen können.

Da diese Zukunft in der Regel in Teams und Gruppen erfolgt, ist die Zugehörigkeit - oder besser das zu einer Gruppe „Zugehörig- sein-dürfen“ – wichtig. Für die Mehrheitsgesellschaft ist es wichtig, die Minderheitsgesellschaft einzuladen und ihr das Gefühl zu geben, tatsächlich dazuzugehören.

Professor Dr. Franz Egle ist Ehrenpräsident der Hochschule der Wirtschaft für Management (HdWM) in Mannheim.  Seit 2012 leitet er als geschäftsführender Vorstand das Deutsch-Türkische Institut für Arbeit und Bildung e.V. in Mannheim. Seit 2015 ist er Aufsichtsratsvorsitzender der Jobnet.AG, Berlin, die Menschen dabei unterstützt, neue Impulse für das System Arbeit zu finden und gibt Fallmanagern und Entscheidungsträgern in den Jobcentern konkrete Hinweise für eine nachhaltige Integration von Geflüchteten und Langzeitarbeitslosen. Seit 2017 ist er im Leitungsteam zur Klärung der Frage, ob und wie gegebenenfalls eine „Hochschule für Business und Integration“ in Berlin-Spandau gegründet und betrieben werden kann.