Der neue Rechtspopulismus ist eine Herausforderung für die freiheitliche Gesellschaft und den Rechtsstaat. Ein Text von Daniel Legutke.

Im September findet die Interkulturelle Woche unter dem Motto "Vielfalt verbindet" statt. Vorab veröffentlichen wir einige Gastbeiträge aus dem Materialheft. Daniel Legutke schreibt über den neuen Rechtspopulismus.

1.           Rechtspopulismus – nicht Volksnähe, sondern Abwertung als Markenkern

Viele Menschen sind in Sorge – über Entwicklungen in Deutschland aber auch weltweit. Der Rechtspopulismus gefährdet die Grundlagen unseres Zusammenlebens und unserer Demokratie. Zwar gibt es kein einheitliches Verständnis dessen, was Populismus genau charakterisiert, er droht inzwischen gar zum inhaltsleeren Schlagwort zu verkommen. Doch ist dem Sprachgebrauch nach eine Partei oder Bewegung dann populistisch, wenn sie negative Stimmungen aufgreift oder verstärkt und einen autoritären Führungsstil praktiziert oder propagiert, um ihre partikularen Interessen durchzusetzen – und sie zugleich als die Interessen der Mehrheit auszugeben. Spezifisch rechts ist ein solcher Populismus, wenn er zusammengeht mit bewusster pauschaler Abwertung und Ausgrenzung von bestimmten Personengruppen. Der Populismus kann also durchaus Problemlagen ansprechen, die in der Gesellschaft sichtbar sind. Doch er überzieht nicht lediglich die Kritik, sondern teilt die Welt in Freunde, die ihm zustimmen und Feinde, die seine Thesen ablehnen, ein. Er ist nicht auf Kompromisse und Konsensfindung ausgerichtet. Damit stellt der Rechtspopulismus einen Grundsatz unseres Gemeinwesens in Frage: den unausgesprochenen Konsens der politischen Akteure, einen Ausgleich zwischen prinzipiell gleichberechtigten Interessen herbeizuführen.

Diese Beschreibung gilt ganz offensichtlich für den Politikstil von Donald Trump oder Geert Wilders und nicht weniger für die Vertreter_innen der Partei Alternative für Deutschland (AfD). Die Aggressivität in der Debatte wird planvoll gesteigert, bewusst wird versucht, Keile in die Gesellschaft zu treiben, zwischen denen, die ihren bisweilen kruden Thesen folgen und solchen Kräften, die auf Ausgleich und Kompromiss gerichtet sind. Der von der AfD angestrebte Ausschluss aus gleichberechtigter Teilhabe an der Gesellschaft zielt nicht nur auf diejenigen, die ihre Interessen nicht teilen, sondern auch auf all jene, die sich in der von der AfD propagierten ethnischen (deutscher Abstammung), religiösen (nicht-islamisch) und sexuellen (heteronormativ) Identität nicht wiederfinden. Menschen, die sich einer solchen Vereinheitlichung entziehen, wird abgesprochen, gleichermaßen legitime Interessen in unserem Land artikulieren zu können. Ein auf diese Weise homogen gedachter Volksbegriff, der ethnisch, religiös und in sexueller Identität einheitlich präsentiert wird, geht an den heutigen Realitäten komplett vorbei.

Doch bei dieser Art der Ausgrenzung bleibt die AfD auch in ihrem Grundsatzprogramm nicht stehen. Ihr Grundsatzprogramm ist durchzogen von der Abwertung bestehender staatlicher Institutionen und deren Personal. Es ist nicht darauf gerichtet, Missstände, die sie wohl auch zu benennen vermögen, zu beheben. Probleme werden durchweg personalisiert und in einer antielitären Haltung stilisiert sich die AfD zum ausschließlichen Repräsentanten des Volkswillens. Ihr Volksbegriff wird einer verschworenen Elite entgegengesetzt gedacht.

Solche Haltungen, wie sie Populist_innen vielerorts an den Tag legen, dürfen nicht bestimmend werden für politisches Handeln. Staatliches Handeln muss sich an geprüften Tatsachen und den Menschenrechten orientieren – und nicht an einem Überbietungswettbewerb von Diffamierung, Lüge und pauschalen Urteilen. Rationale Argumente müssen weiterhin in der politischen Debatte zählen.

2.           Soziale Netzwerke als Mittel der Diffamierung

Viele der populistischen Phänomene sind schon seit langem latent vorhanden gewesen, worauf nicht zuletzt die Untersuchungen der Mitte-Studien (Leipzig) und zu den Deutschen Zuständen (Bielefeld) seit Jahren hingewiesen haben. Neu ist jedoch in dieser Zeit die äußerst erfolgreiche politische Mobilisierung und Formierung in Bewegungen und Parteien. Auch in den öffentlich rechtlichen Medien wird ihren Vertreter_innen hohe Aufmerksamkeit zuteil. Dies suggeriert eine weit größere Zustimmung als die Populisten oftmals tatsächlich für sich verbuchen können: ca. 80 % der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland sehen sie ausweislich letzter Landtagswahlen nicht als ihre Repräsentanten an! In den Niederlanden, zu denen bei uns die Berichterstattung über Geert Wilders dominiert, traf seine Partei vor der Parlamentswahl ziemlich konstant auf eine Ablehnung bei 85 % der Bevölkerung. Und doch ist es eine nachweisbar steigende Gewaltbereitschaft, verbal und physisch, die diese Bewegungen bedrohlich macht. Es ist das weitere Abdriften einer radikalen Minderheit, die verstörend und störend in der Gesellschaft wirkt.

Wesentlich für die politische Kultur ist der enorme Einfluss, den rechte Bewegungen über die Sozialen Netzwerke ausüben. Bürgermeister, Ratsmitglieder oder Engagierte der Flüchtlingspolitik sind aufgrund des Hasses und der Bedrohungen, die ihnen aus den sozialen Netzwerken entgegenschlagen, zurückgetreten. Ohne Mandat und ohne klassische Pressearbeit oder Pressekampagnen wirken Rechtsextreme damit ganz direkt und in ihrem Sinn sehr erfolgreich in die Politik. Sie schüchtern Mandatsträger und Engagierte massiv ein und vertreiben sie aus der Arbeit.

Es geht daher längst nicht mehr nur um diffuse Stimmungsmache, sondern Rechtsextreme können beachtliche Ergebnisse vorweisen. Und unterhalb der Schwelle von Gewaltandrohung und -ausübung wird bereits jetzt sichtbar, dass diese Art der Stimmungsmache in den sozialen Netzwerken die Politik auch der großen Parteien prägt und in einigen Punkten durchaus vor sich hertreibt. Ohne diese neuen Bewegungen wären die wiederaufgeflammten Debatten um den Abschiebegewahrsam, um Frontex und um mögliche Auffangzentren in Libyen wahrscheinlich anders verlaufen.

3.           Versatzstücke rechter Argumentationen bei Kirchenmitgliedern

Rechte Populisten finden mit ihren oft zu einfachen Lösungsvorschlägen auch Anklang unter den Mitgliedern der Kirchen. Damit wird diesen Christ_innen keineswegs eine Nähe zum Rechtsextremismus unterstellt. Im Gegenteil, geschlossen rechtsextreme Weltbilder finden sich unter Kirchenmitgliedern vergleichsweise selten. Dennoch werden Versatzstücke gern aufgenommen und wirken in kirchliche Milieus hinein. Insbesondere mit ihrer Kritik an der Praxis von Abtreibungen und ihrem Eintreten für den Lebensschutz, ihrer Wertschätzung traditioneller Familien, bei gleichzeitiger Abwertung homosexueller Lebensgemeinschaften und der Angst vor einer "schleichenden Islamisierung" finden sie Zugang zu kirchlichen Milieus.

Doch sollten wir in den Kirchen aufmerken und uns nicht täuschen lassen: Die AfD ist nicht daran interessiert, ihre Positionen in den Wettstreit der Parteien und Meinungen einzubringen. Als Partei lehnt sie Dialog, Gespräch und Kompromiss rundweg ab, indem sie andere ausschließt. Sie stilisiert sich als kompromisslose Verfechterin von Wahrheitsansprüchen und erklärt diejenigen, die nicht mit ihr übereinstimmen, zu Gegnern und Feinden – wenn sie ihnen nicht gleich jede Legitimität politischer Mitsprache entzieht –, sich selbst aber zu Opfern. Darin liegt die Ablehnung durch die Kirchen begründet.

4.           Stärkung der Menschenrechte – in Verteidigung der freiheitlichen Gesellschaft

Für die Kirchen ist der Mensch als Abbild Gottes mit unveräußerlicher Würde begabt, unabhängig von Herkunft, Glauben oder sexueller Orientierung. Die Menschenrechte sind der Versuch, diese Würde des Menschen rechtlich abzusichern.

Weil sich Gesellschaften permanent verändern und neue Aufgaben und Fragen entstehen, wird um die angemessene Sicherung der Menschenwürde immer wieder neu gerungen werden. Es entstehen neue Probleme und Herausforderungen, auf die zu reagieren ist. Die Debatte um Menschenrechte wird also nie für beendet erklärt werden können. Debatten sind Teil einer starken demokratischen Kultur.

Häufig wird behauptet, aus der Verpflichtung, die Sicherheit der Bürger_innen zu schützen, folgten notwendigerweise Einschränkungen der Freiheit. Doch Sicherheit als eigener Rechtsanspruch kommt in den Menschenrechten aus gutem Grund nicht vor. Vielmehr besteht die Aufgabe des Staates darin, einen Rahmen zu schaffen, innerhalb dessen Menschen sich in Sicherheit frei entfalten können. Sicherheit ist daher kein abstraktes Rechtsgut, sondern immer konkreten Rechten zugeordnet. Ohne menschenrechtliche Rückbindung droht Sicherheitsbedürfnis in Willkür umzuschlagen.

Natürlich treten immer wieder konkrete Konflikte zwischen Freiheitsansprüchen und Sicherheitsinteressen auf. Doch der Rechtsstaat zeichnet sich dadurch aus, dass er jedem Einzelnen unabhängig von Religion oder ethnischer Herkunft Klagemöglichkeiten gegen Freiheitseinschränkungen eröffnet. Es braucht diese Perspektive, rechtlich wirksam gegen Einschränkungen vorgehen zu können, um dem Weg gewaltfreier Konfliktlösung bei gegensätzlichen Interessen zu vertrauen.

Darum sind politische Statements, die hierzulande das Vertrauen in das Funktionieren des Rechtsstaats untergraben, so gefährlich. Wenn behauptet wird, der Staat drohe im Chaos zu versinken oder würde in Willkür von scheinheiligen Eliten gelenkt, ist das ein Angriff auf die Fundamente unserer Staatsordnung. Denn es wird behauptet, dass der Kern unseres Staatssystems nicht mehr funktioniere und ein Aushandeln und Ausgleichen berechtigter Ansprüche nicht mehr möglich sei. Damit fällt die Voraussetzung weg, auf der unser Staatswesen beruht: Dem Vertrauen darauf, dass die Menschenrechte und mit ihnen der bestmögliche Schutz der Würde der Person – bei allem notwendigen Ausgleich teils widerstreitender Interessen – die Ziele der Politik ausmachen.

Gegen die Spaltung der Gesellschaft und Abwertung von Menschen steht das großartige Versprechen der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte: "Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten gebore". Dieses gilt es Tag für Tag zu verteidigen, einzufordern und zu realisieren. Die Menschenrechte sind aus gutem Grund die Basis unseres Zusammenlebens und für jeden Einzelnen ein Gewinn. Wenn die Würde des Menschen angegriffen wird, müssen wir Christinnen und Christen Position beziehen und uns einmischen – in Worten und in Taten. Der Hass der Wenigen darf nicht die Koordinaten der gesamten politischen Debatte verschieben, das gesellschaftliche Zusammenleben vergiften, Extremismus, Hass und Feindschaft verbreiten. Deutschland ist seit langem ein Einwanderungsland, geprägt durch große Vielfalt. Die Mehrheit unserer Gesellschaft steht in einer nie gekannten Solidarität für Menschenrechte, für Demokratie, für den Schutz von Flüchtlingen und anderen Minderheiten.

Der Text erschien im aktuellen Materialheft der Interkulturellen Woche 2017 unter dem Motto "Vielfalt verbindet". Hier findet ihr das ganze Heft.