Am Dienstag, 15. August, hielt der Parteivorsitzende und Kanzlerkandidat der SPD, Martin Schulz, eine Grundsatzrede zu der Integrationspolitik seiner Partei. Im Anschluss an seine Rede diskutierte Martin Schulz mit Dr. Yasemin Shooman (Leiterin des Akademieprogramms des Jüdischen Museums Berlin), Prof. Marcel Fratzscher (Präsident des DIW Berlin) und Prof. Wolfgang Kaschuba (Direktor des BIM). Moderiert wurde die Veranstaltung von unserem Vorsitzenden Farhad Dilmaghani.

In seiner Grundsatzrede zur Integrationspolitik bezog Schulz klar Position: „Wir sind eine Einwanderungsgesellschaft." Damit setze sich der Kanzlerkandidat auch von vielen konservativen Politikern ab, die diese Realität immer noch negierten. Die ebenso verbreitete Haltung von „denen“ und „uns“ zu sprechen, sei ein fataler Fehler, der eine moderne Gesellschaftspolitik verhindere. Es müsse eine stärkere Bereitschaft geben, Menschen auch mit ihren anderen Wurzeln anzuerkennen. Denn es sei ja immer noch so, dass auch Menschen, die in Deutschland geboren sind, oft Nachteile erfahren, wenn sie sich zum Beispiel um eine Wohnung oder einen Arbeitsplatz bewerben. 

Es halte es auch für falsch, den Begriff "Integration" zu verwenden, wenn es um Menschen gehe, die teils seit Generationen hier lebten. Entscheidend sei es hier von "Teilhabe" zu sprechen. "Integration" hingegen sollte sich auf Menschen beziehen, die erst kurze Zeit im Land seien, wie das beispielsweise bei Geflüchteten der Fall sei.

So richte sich auch die "Teilhabepolitik" der SPD "eben nicht nur an die 18,6 Millionen mit Migrationshintergrund, sondern an alle 82 Millionen Menschen in unserem Land“, sagte Schulz. Die Debatte über die Gestaltung der Einwanderungsgesellschaft werde viel zu oft aus einer defizitären Perspektive geführt. Denn es sei doch so: Erhöht man die Chancen für alle, komme das der Einwanderungsgesellschaft als Ganzes zugute.

So widmete Schulz auch einen großen Teil seiner Rede dem Thema Bildung, die auch Kindern mit Einwanderungsgeschichte den gesellschaftlichen Aufstieg ermöglichen solle. Er arbeite "für ein Deutschland, in dem Herkunft kein Schicksal mehr ist und Herkunft nicht mehr über die Zukunft entscheidet“, sagte der SPD Vorsitzende.  

Ein wichtiger Schritt Richtung Chancengleichheit sei beispielsweise der Ausbau von Ganztagsschulen. Schulz forderte zudem mehr Schutz vor Diskriminierung in allen Bereichen, beispielsweise auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt. Dafür müsse unter anderem das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz weiterentwickelt werden. Die ihrem Anteil an der Bevölkerung entsprechende Repräsentanz von Menschen mit Migrationsgeschichte in allen gesellschaftlichen Entscheidungspositionen sollte den Normalfall darstellen.

Die Integrationsdebatte, so Schulz, solle vor allem zu mehr Zusammenhalt und nicht zu einer weiteren gesellschaftlichen Spaltung führen. Ein weiteres zentrales Anliegen von Schulz ist daher die zukünftige Zusammenführung aller Integrationsfragen in einem Fachministerium, beispielsweise im Arbeits- oder im Familienministerium. Die Zuständigkeiten der aktuellen Bundesregierung seien derzeit auf zu viele Ressorts verteilt. Eine Andockung an das Bundesinnenministerium komme für Schulz daher nicht in Frage, denn die aktuelle Vermischung von Integrations- und Sicherheitspolitik sei ein großer Fehler, der den Diskurs in eine völlig falsche Richtung lenke.

Schulz fordert zudem ein Einwanderungsgesetz, bei dem klar sein müsse, dass nicht jede_r Bewerber_in nach Deutschland kommen könnte, es aber dennoch realistische Chancen –  für nicht EU-Bürger_innen – gebe, auf legalem Wege nach Deutschland einzuwandern und hier zu arbeiten. So, wie das beispielsweise in Kanada oder der USA möglich sei . 

Auf europäischer Ebene sprach sich Schulz für mehr Solidarität bei der Verteilung von Flüchtlingen aus: „Solidarität ist keine Rosinenpickerei, sondern ein Prinzip.“ Dabei mahnte er insbesondere einige Staaten Mittel- und Osteuropas an. In Deutschland müsse die Bearbeitung von Asylanträgen deutlich schneller gehen, so Schulz. Die langen Wartezeiten bis eine Entscheidung getroffen sei, seien für die Asylsuchenden nicht hinnehmbar.

Schulz beschrieb Deutschland mit der Metapher eines bunten, toleranten Hauses mit einer klaren Hausordnung, an die sich alle hier lebenden Menschen halten sollen. Letztere sei das Grundgesetz. Man müsse die Gesellschaft natürlich schützen, so Schulz, nicht aber vor Menschen mit Migrationshintergrund, sondern vor denjenigen, die eine offene Gesellschaft bedrohen. Wenn Menschen, die hier geboren sind, einen Machthaber wie Erdogan wählten, müsste man sich fragen, was in der hiesigen Integrationspolitik schiefgelaufen ist und mehr Identifikationsangebote schaffen. Die in diesem Zusammenhang erneut aufgekommene Debatte um die doppelte Staatsbürgerschaft verurteilte Schulz: Für die SPD gehöre die Möglichkeit auf Mehrstaatigkeit dazu.

Fotos: Mit freundlicher Genehmigung des DIW / Florian Schuh