Wie sieht es aus mit der Vielfalt in der Führungsetage der Berliner Verwaltungen? So richtig wusste das niemand. Bis das Projekt „Vielfalt Entscheidet – Diversity in Leadership“ eine erste Erhebung gemacht hat. Projektleiter Daniel Gyamerah erklärt im Interview mit DeutschPlus die wichtigsten Ergebnisse der Studie.

Was ist die wichtigste Erkenntnis dieser Studie?
Daniel Gyamerah: Die wichtigste Erkenntnis für uns ist, dass es möglich ist, in Deutschland differenzierte Antidiskriminierungs- und Gleichstellungsdaten zu erheben. Das kann man innerhalb von Organisationen erheben und zwar entlang aller Dimensionen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes. Wir haben gezeigt, dass wir im Kontext der Einwanderungsgesellschaft bei der Analyse über den so genannten Migrationshintergrund hinaus gehen und rassistische Diskriminierungserfahrungen differenziert erfassen können.

Das funktioniert aber nur, wenn die jeweilige Organisation das auch erfassen möchte, oder?
Gyamerah: Das funktioniert natürlich nur, wenn eine Organisationen oder auch ein Unternehmen sagt: Wir wollen uns weiterentwickeln und das im besten Fall auch öffentlich machen, dass sie das auf die Agenda setzen.

Die Zahlen, die durch die Studie erhoben wurden, waren schon beeindruckend – im Negativen: Nur 3 Prozent der Führungskräfte in den Berliner Verwaltungen sind People of Colour und alle davon geben an rassistische Diskriminierung erlebt zu haben. Habt ihr das erwartet?
Gyamerah: Klar sind 3 Prozent wirklich wenig. Aber: Es war die erste Studie dieser Art in Deutschland. Es gibt daher überhaupt keine Vergleichswerte.

Warum gab es das bisher nicht?
Gyamerah: Ich vergleiche das gerne mit der Geschlechtergerechtigkeit. Da haben wir zwar auch noch einen Weg vor uns, aber einiges wurde da schon erreicht. Da gibt es verschiedene Statistiken zu. Im Bereich Einwanderungsgesellschaft haben wir einen komplett anderen Frame. Da ist der Frame „Integration“. Bisher ging es um Teilhabe und Mitmachen und maximal mal einen Diversity-Tag zu organisieren. Die Perspektive unserer Erhebung ist eine andere: Es geht um Gleichstellung und Repräsentation. Und diese Perspektive ist neu.

Zurück zum Ergebnis: Wie würdest du das zusammenfassen?
Gyamerah: 97 Prozent der Führungskräfte in den Berliner Verwaltungen sind weiß bzw. haben keine Erfahrung mit rassistischer Diskriminierung gemacht. 3 Prozent sind People of Colour (PoC), Schwarze Menschen oder haben eine ähnliche Selbstbezeichnung und geben überwiegend an, dass sie rassistische Diskriminierungserfahrung gemacht haben. Es ist tatsächlich so, dass alle Befragten, die sich selbst als PoC identifiziert haben, auch angegeben haben, dass sie rassistische Diskriminierung erfahren haben. Das waren getrennte Fragen in der Studie, so dass dieser Zusammenhang festgestellt werden konnte.

Welche Forderungen ziehst du aus dem Ergebnis?
Gyamerah: Für uns steht fest, dass es ein Antidiskriminierungs- und Gleichstellungsdatenmonitoring geben muss. Politik und Verwaltung sollten sich das auf die Agenda setzen. Diese Erhebungen innerhalb von Organisationen und darüber hinaus sollten immer wieder gemacht werden. Auf der Landesebene ist es ganz entscheidend, das Partizipations- und Integrationsgesetz anzupassen. Dieses Gesetz ist eigentlich dafür eingesetzt worden, dass Menschen mit Migrationshintergrund in der Berliner Verwaltung repräsentiert sind. Das Schutz- und Förderniveau für Menschen mit Migrationshintergrund ist aber sehr viel niedriger als das Landesgleichstellungsgesetz, das dafür da ist, dass Frauen repräsentiert sind. Das bedeutet: Es sind viele Soll- und Kann-Bestimmungen statt festen Quoten. Das Problem mit dem Begriff Migrationshintergrund ist aus wissenschaftlicher Sicht, dass er nur die erste und zweite Generation von Eingewanderten berücksichtigt. Wenn jemand in der dritten Generation in Deutschland lebt, ist diese Person gar nicht mehr von dem Gesetz adressiert. Wir brauchen deshalb eine Erweiterung im Partizipations- und Integrationsgesetz um eine menschenrechtlichen Perspektive auf rassistische Diskriminierung.

Wir bei DeutschPlus beraten öffentliche Institutionen zur interkulturellen Öffnung. Dabei sprechen wir auch rassistische Diskriminierung an. Wie ist deine Erfahrung im Umgang mit dem Begriff Rassismus?
Gyamerah: Da gibt es sehr unterschiedliche Reaktionen. Es kommt immer darauf an, ob schon jemand in der Organisation zu dem Thema gearbeitet hat. Ist das nicht der Fall, beobachten wir schon erst einmal ein Zusammenzucken beim Begriff Rassismus. Wenn man dann aber die Definition nach Artikel 1 der UN-Antirassismuskonvention erklärt – also die Rechtsdefinition aufzeigt – versachlicht das die Diskussion. Besonders hilfreich ist es, wenn man mit Menschen arbeitet, die sich beispielsweise schon mit anderen Dimensionen von Diskriminierung auseinandergesetzt haben, etwa mit Sexismus. Es ist aber auch wichtig, das Problem Rassismus beim Namen zu nennen.

In unserem Projekt ACT – Bewusstsein schaffen, Chancen sichern verfolgen wir den Ansatz, dass öffentliche Institutionen besonders wichtig in diesem Prozess sind. Wie siehst du das?
Gyamerah: Das sehe ich genauso. Es geht nicht nur um öffentliche Institutionen, sondern auch um Parteien, weil diese eine Vorbildfunktion haben. Es ist immer schwer, wenn der öffentliche Sektor den privaten Sektor reglementieren will und selber in dem Bereich noch gar nicht vorangeschritten ist. Hinzu kommt noch, dass die Institutionen aus Steuern finanziert sind. Für die demokratische Legitimierung ist es besonders wichtig, dass die Organisationen die Gesellschaft, für die sie arbeiten, in allen Dimensionen repräsentiert.

Das Interview führte DeutschPlus-Pressesprecherin Lena Högemann.